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Noch auf der Kapitan Dranitzyn

Aktualisiert: 27. Apr. 2020

12. Dezember 2019

85° 53' N, Kurs Nord

457 km bis zum Pol

22 Uhr Bordzeit (20 Uhr Jena)

Zwei Lichter leuchten uns heute auf dem Eis beim Aussetzen der 6. Driftboje - der (fast) Vollmond und die Polarstern vor uns. Nur noch 40 Seemeilen sind es bis zu unserer neuen Heimat für die nächsten Monate.

Bald 10 Tage sind wir nun mit der Kapitan Dranitzyn unterwegs durch den völlig dunklen einsamen Arktischen Ozean. Erst schnell mit 15 Knoten durch offenes Wasser der Barentssee, dann ab Franz-Josef-Land in zunehmend dickerem Eis bis wir uns nun im Schritttempo von 1-2 Knoten durch ca. 1 m dickes Eis vorwärts kämpfen. Die Dranitzyn leistet Schwerstarbeit.

Unser heutiger 6. Einsatz mit den Driftbojen ist wahrscheinlich der letzte und auch der schönste. Das Team auf dem Eis (Eric Brossier, kanadischer Weltumsegler und Arktiskenner; Polona, slowenische Eisphysikerin die mit ihrer Familie in Tromsö lebt; Dima, der Eisphysiker vom AARI in St. Petersburg und ich), sind eingespielt, die Kollegen auf Deck und Brücke halten Eisbärenwache und uns den Rücken frei. Drei Tage waren wir alle auf Standby und permanent aktiv mit dem Aussetzen der Bojen beschäftigt. Arktis ist wirklich Teamarbeit.

Mittlerweile läuft alles wie am Schnürchen und trotzdem bleiben wir einige Minuten länger auf dem Eis als die nötigen 30 min fürs installieren der Bojen.

Das Mondlicht über den wild zerklüfteten Eisrücken und der Dranitzyn ist einfach zauberhaft.

Bislang war auf unserer Anfahrt das Aussetzen der Bojen eine der wenigen wissenschaftlichen Aktivitäten. Für die anderen Arbeitsgruppen beginnt die Arbeit dann ab nächster Woche auf dem Eis.


Aussetzen der Driftbojen im Eis zwischen Severnaja Semlja und der Polarstern auf 86° Nord:


Warum sind diese Driftbojen eigentlich so wichtig? Und was messen sie?

Unsere Bojen sind weiße Kugeln von 50 cm Durchmesser, im Inneren befinden sich Akku, Antenne, Sensoren & Elektronik. Die Bojen werden im Eis verankert und können später auch schwimmen. Unsere Bojen messen GPS Position und Lufttemperatur (andere Modelle auch Luftdruck). Einmal die Stunde werden diese Daten per Satellit gesendet an:

International Arctic Buoy Programe

Dort koordiniert Ignatius Rigor (University of Washington) das korrekte Einspeisen der Daten auf den Server. Wenn das ok ist, geht dann alles automatisch und jeder kann sich das kostenfrei online anschauen. Für die Suche nach "unseren" Bojen sind nur die IMEI Nummern nötig. Hier die letzten drei zum Mitmachen:


300234061161600

300234061161590

300234061164500


Wenige Tage später sollten die Positionsdaten auch hier her gespielt werden

www.meereisportal.de

Warum macht man nun den ganzen Aufwand?

(Die Bojen kosten je einige tausend Euro, die Datenleitung über Satellit schnell mehr, unsere Fahrt sowieso, und nach anderthalb Jahren ist auch die Sendezeit der Boje vorbei, weil der Akku leer sein wird...)

Es geht schlicht um bessere Klima- und Wettermodelle.

Will man Wetter vorhersagen und in späterem Schritt Klima modellieren, muss man zuallererst die Bewegungsgleichungen mit den Zustandsgleichungen kombinieren, um daraus zu wissen, welche Luftpakete sich mit welcher Temperatur, Druck, Feuchte,... mit welcher Geschwindigkeit wohin bewegen.

Wie das prinzipiell funktioniert wissen wir seit fast 200 Jahren und die Navier-Stokes-Gleichungen als System gekoppelter Differentialgleichungen beschreiben diese Kopplung. Problem ist erstens, dass diese Gleichungen bislang nicht analytisch lösbar sind und wir zweitens nicht einmal wissen, ob das je möglich sein wird. Wer diese beiden Probleme löst, kann sich den nächsten Nobelpreis für Physik und die Fieldsmedaille der Mathematiker abholen. In Ermangelung analytischer Lösungen versucht man mit numerischen Modellen zu näherungsweisen Lösungen zu kommen. Dazu müssen eine ganze Menge an Annahmen, Vereinfachungen, usw. in diese Modelle gesteckt werden, begrenzte Computerpower zwingt auch dazu, die Modelle gröbermaschig zu rechnen als gewünscht. Genau deswegen ist es so unglaublich wichtig, diese Modelle mit realen Messwerten zu kalibrieren - und die liefern eben unsere Driftbojen. Sie vollziehen die Bewegung der Eisscholle, und nach deren Schmelzen, später die der lokalen Meeresströmung nach. Mit der Langzeitbeobachtung und Kombination eines weltweiten Netzwerks von Bojen können wir also unsere Wetter- und Klimamodelle verbessern. Der besondere Wert von Bojen in der hohen Arktis besteht nun darin, dass es aus diesem Bereich aufgrund des enormen logistischen Aufwandes schlicht wenig bislang vorhandene Daten gibt.


Vorhin hatten wir auch die erste direkte "Begegnung" mit der Polarstern. Der Heli von der PS flog Felix, den zweiten Offizier der PS auf die Dranitzyn und nahm auf dem Rückweg unseren ersten Offizier von der Dranitzyn mit auf die PS. Bei dem "Offizierstausch" geht es darum, den besten Weg zu finden in Annäherung an die PS. Die letzten 20 nm ringsum die PS sind "gepflastert" mit einem dichten Netzwerk an Messstationen auf dem Eis und die müssen wir natürlich großräumig umfahren.

Später am heutigen Donnerstag werden sich Kapitäne und Fahrtleiter der beiden Schiffe per Helikopter Transfer treffen, um das genaue Anlegemanöver vorzubereiten.

Über 70 Tonnen Material müssen von der KD auf die PS, dazu muss Treibstoff gebunkert werden. Deswegen wollen wir einerseits so nah ran wie möglich an die PS - ohne eben andererseits dort die Eisscholle mit den aufgebauten Messstationen zu beschädigen. Im Idealfall können wir mit dem Bug der KD parallel neben dem Heck der PS parken und per Kran die Container überladen. Das hängt natürlich auch vom Wetter ab, bei zu starkem Wind verbietet sich ein solches Manöver.


Auf der PS und der KD sind alle Teams in Vorbereitung dieses Wechsels von Leg 1 auf Leg 2. Fast alle Wissenschaftler und Crew von Leg 1 werden nach drei Monaten im Eis nach Hause fahren. Die Übergabe wird 4-7 Tage dauern. Neben dem Umladen der Ausrüstung bekommen wir von den Kollegen eben auch ausführliche Erfahrungsberichte der letzten Monate und können aufbauen, auf dem, was sie sich an Wissen erarbeitet haben. Es geht auch darum, alle Messungen effizient und in gleicher Routine weiterzuführen.

Die jetzige Besatzung der KD wird die Tage der Übergabe noch auf der KD wohnen bleiben, erst am allerletzten Tag "ziehen wir um" und dann wird die KD auch davon segeln nach Süden und wir haben die Eisscholle für uns.


Wann wir endlich neben der PS liegen?


Sehr schwer zu sagen. Das Eis ist momentan sehr dick, über 1m schon so früh im Jahr (einiges an Eis hat den letzten Sommer mit ca. 50 cm Dicke überdauert und wächst nun mit 30 cm pro Monat zu zweijährigem Eis), generell hat die Eisbildung hier erfreulich früh eingesetzt im Vergleich zu den letzten Jahren. Entsprechend zäh ist unser Vorankommen mit 1-2 Knoten. Und gleichzeitig "flieht" die PS mit der Eisdrift von derzeit 0,2 Knoten vor uns nach Norden. Sprich, in jeder Stunde transportiert das Eis uns 400 m gen Nordpol, derzeit also fast 10 km pro Tag. Wenn alles mit Wetter und Eis passt wie erhofft, werden wir im Laufe des Freitags, 13.Dezember, unser Ziel erreichen. Bis dahin bleibt die PS ein kleiner Lichtpunkt am Horizont, der jede Stunde ein klein wenig größer wird. Für uns ist sie wie eine Kerze im Advent.



Liebe Grüße

Steffen


Nachtrag: Die Lichter der PS gestern aus 40 nm Entfernung müssen Spiegelung in der Luft gewesen sein. Wir haben grad nochmal nachgerechnet, selbst von der 30 m hohen Brücke der KD ist der Horizont nicht sooooooo weit.

Grad ist die PS nicht mehr zu sehen.

Noch 16 nm Luftlinie....



Vorbereitung und Sicherheitstraining in Tromsö:


Start in Tromsö mit der KD und unterwegs in der Barentssee:



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